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Mittwoch, 11. Januar 2017

Hitler pisst in Luxemburg - Tom Hillenbrands neuer kulinarischer Krimi „Gefährliche Empfehlungen“

„Was konnte so wichtig sein, dass man dafür siebzig Jahre nach Kriegsende noch jemanden umbrachte?“ Diese Frage stellt sich der luxemburgische Koch Xavier Kieffer in Tom Hillenbrands fünftem kulinarischen Krimi „Gefährliche Empfehlungen“ (Köln, Kiepenheuer & Witsch 2017, 407 Seiten, 9,99 €), der ab morgen in den Buchhandlungen liegt.

Tja, und sowohl der Koch, der von höchster Stelle aus Frankreich zu Recherchen aufgefordert wird, als auch der Leser werden sich bis zu den letzten dreißig Seiten des vierhundertseitigen Romans gedulden müssen, bevor man auch nur eine Ahnung hat, worum es in der Krimihandlung geht. Bis dahin werden wir in gewohnter Weise gut unterhalten mit allerlei luxemburgischen und internationalen Culinaria, küchengeschichtlichen Exkursionen in Vergangenheit und Gegenwart, gewürzt mit einem Bröckchen High-Tech-Küchenzukunft (in Berlin, notabene!). Sehr schön ist zum Beispiel Hillenbrands Hommage an den Begründer der Nouvelle Cuisine, Paul Bocuse: Der Autor inszeniert eine hochkomische Begegnung seines Romankochs mit dem neunzigjährigen ewigen Dreisterneküchenchef (der unter dem fiktiven Namen Jean Saubec figuriert, Kapitel 22).

Die Hauptrolle im Roman – und das ist nicht ganz unproblematisch – spielt jedoch dieses Mal ein Buch, ein alter Restaurantführer: der Guide Michelin, Jahrgang 1939 (im Roman „Guide Gabin“ genannt). Die Ausgabe 1939 war die letzte vor dem Krieg (erst 1948 erschien wieder ein neuer Michelin). Es gibt da einige zeitgeschichtlich höchst erstaunliche Besonderheiten zu dieser Ausgabe, von denen Tom Hillenbrand dankbar Gebrauch macht, um uns in die Zeit der deutschen Besatzung und der alliierten Invasion in Frankreich zurückzuführen. Letztlich erfindet er nur ein klitzekleinbisschen hinzu, um zu seinem Clou zu kommen. Davon wird hier natürlich nichts verraten!

Nicht zuletzt erfahren wir auch etwas vom Widerstand der Luxemburger, die Hitler als „Moseldeutsche“ ins Reich eingliedern wollte. So veränderten sie die Inschrift „Hitler siegt“, die die Nazis auf den Mauern anbrachten, gerne durch Übermalen des „i“ in „Hitler segt“. Das ist Lëtzebuergesch für „Hitler pisst“.

Jeder, der die anderen vier Kieffer-Krimis mit Genuss gelesen hat, wird auch hier seinen Spaß haben. Und doch: die Action-Szenen sind zum Teil etwas klamaukig, Home-alone-artig, und was für mich das größte Manko ist: In den bisherigen vier Romanen hatte auch der Kernplot immer etwas mit der modernen Lebensmittelindustrie zu tun, immer kritisch zugespitzt mit sorgfältig recherchierten Elementen aus der unmittelbar zu erwartenden Zukunft (z.B. in Sachen Geschmacksverstärker, Olivenöl, Thunfischzucht). Das ist ja die besondere Qualität von Tom Hillenbrand: Gegenwartsrecherche von Entwicklungstrends mit Spannungsoptimierung und Kritik zu verbinden.  Wie gut er das kann, hat er in seinem Science-Fiction-Krimi “Drohnenland” (2014) gezeigt, der drei, vier Jahrzehnte in der Zukunft spielt.

In dem neuen Roman fehlt dieses Element in der zentralen Spannungsgeschichte. Er führt in die Kriegsvergangenheit zurück. Schade, denn an solchen Krimis herrscht kein Mangel in Deutschland.


Aber dennoch: gute Unterhaltung!

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