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Montag, 11. Juli 2016

Ann Cotten, Verbannt! - Ein Lesetagebuch (10): Ann unter den Deutschen



Wie war das noch bei Hölderlin im „Hyperion“ mit dem Brief über die Deutschen? Hyperion hat es aus seiner Heimat Griechenland nach Deutschland verschlagen und er wird dort tiefunglücklich. Hier ein kurzer Auszug dessen, was er seinem Freund Bellarmin über die Deutschen mitteilt:

Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes – das, mein Bellarmin! waren meine Tröster.
Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergossne Lebensblut im Sande zerrinnt? […]
Deine Deutschen .. bleiben gerne beim Notwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müssten solche Menschen nur nicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlassnen Unnatur auf solchem Volke. […]

Und bei Ann Cotton?

Im zweiten Kapitel von „Verbannt!“ findet sich im Zusammenhang von Geschichte, Krieg und Waffentechnik folgende Strophe:


O Deutscher, lach und sag, dass ich dich nicht ertappte!

            Ach herrje, wer hat dich bloß grade so gemacht?

Ists Drachenblut, ists Sauerkraut, was dein Hirn überschwappte,

            dass du Vergnügen presst aus der Unwahrheit Schacht

            in dir, weil sie dort nackt? Oder warum hast du gelacht?

O Deutscher, deine Feinheit wohnt im Blick auf Rädchen,

nimmt man sie dir weg, bleiben lose Fädchen,

du kicherst leis, sie schwanken unnütz in der Zeiten Wind.

Jetzt arbeitslos, warst du einmal der Zeiten Kind.


(Verbannt!, Seite 33)



Arme Ann! Seit zehn Jahren lebt sie in Berlin unter den Deutschen; ein weiblicher Hyperion? Bei „Verbannt!“ scheint es sich um ihre literarische Verarbeitung dieser Erfahrung zu handeln.

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