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Dienstag, 31. März 2015

Leif Randt und Dietmar Dath präsentieren Romane der Chronotravestie

Meine Theorie, dass der deutsche Gegenwartsroman sich in der Flut der Vergangenheitsromane nur im Kleide der Zukunft auf die Straße wagt, ist im März gleich durch zwei neue Beispiele untermauert worden:

Leif Randt, Planet Magnon (Köln: Kiepenheuer & Witsch 2015, 19,95 Euro) und 
Dietmar Dath, Venus siegt (Lohmar: Hablizel 2015, 23,95 Euro).



Ich habe in diesem Zusammenhang bisher von Science Fiction gesprochen, aber das trifft die Sache nur zum Teil, beispielsweise in Tom Hillenbrands Drohnenland.  Der Begriff „Antizipationsroman“, der in der Debatte zu Houellebecqs „Unterwerfung“ verwendet wurde, kommt der Sache näher, deckt aber nur den rationalistischen Teil des Genres ab. Und Richard Kämmerlings identifiziert in seiner Rezension zu Planet Magnon eine Gruppe "postapokalyptischer" Romane, aber auch dies betrifft nur eine Teilgruppe.


Mein neuer Vorschlag geht von der Hypothese aus, dass bei der Allgegenwart von Vergangenheitsromanen, die sich mit der Bewältigung des Dritten Reiches und der DDR-Diktatur und ihren Verästelungen beschäftigen, ein deutscher Gegenwartsroman im Gegenwartsmodus keine Chance hat. Ein Autor, der wirklich eigenzeitliche Themen behandeln will, muss einen größeren Abstand erzeugen, und das kann er nur durch die Verkleidung seiner Erzählung als Zukunftsroman, durch einen Akt der Chronotravestie also.

Meine Liste der diesbezüglichen Romane der letzten zehn Jahre ist inzwischen auf 21 Titel angewachsen (siehe unten). Wie zur Bestätigung meiner Theorie kommen viele dieser Bücher in extravaganten Einbänden und mit auffälligen Accessoires geschmückt daher: Leif Randts Planet Magnon ziert eine aufwändige Goldprägung und eine wunderschöne goldene Planetenscheibe, in der der Betrachter sich spiegeln kann. Dietmar Daths Venus siegt dagegen zeigt sich im schlichten grauen Leinenkleid, aber mit lila Titelprägung. Wenn man es öffnet, fällt einem eine farbige Postkarte mit der Abbildung der weiblichen Hauptfigur entgegen, die wiederum wie ein Operettenoffizier gekleidet ist. Außerdem ist jedes Exemplar der ersten Auflage vom Autor handsigniert. Travestie allenthalben.
Leona (Lily) Christensen, Hauptfigur in Venus siegt
Bild: Klaus Scherwinski und Luisa Preissler, 2015


Hier klicken für die Liste der 21 Titel:

Montag, 30. März 2015

Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ – Ein Leserblog (4): Dschihad für Deutschland

1900-1915: Die reichhaltigsten 15 Jahre der deutschen Geschichte... Ich hätte auch die österreichisch-ungarische mit erwähnen sollen. 

Kopetzky bedient sich genüsslich.

Zum Beweis ein Griff in die Kiste. Ich habe hier im Blog nicht die Zeit und den Raum und den Wunsch, das näher auszuarbeiten. Man lese einfach die anklickbaren Artikel zu den folgenden Namen oder eben den ganzen unterhaltsamen Roman!

Im Zusammenhang mit der deutschen Afghanistan-Expedition von 1914/16 tauchen in „Risiko“ ein paar höchst abenteuerliche (aber reale) Gestalten auf. Jeder hatte seine Vorgeschichte und jedem einzelnen von ihnen wird nachgesagt, er wäre ein deutscher Lawrence (von Arabien) gewesen. Die Fotos unten sprechen für sich. Aber die Namen dieser deutschen Abenteurer sind im heißen Sand der Geschichte versunken, und eine schriftstellerische Begabung wie im Falle von T. E. Lawrence („Seven Pillars of Wisdom“) war leider nicht dabei. Im übrigen hilft ein früher Tod auch immer zur Legendenbildung, und das war bei den deutschen Herren nicht der Fall.

Max von Oppenheim
Der kreative Geist hinter der Idee, man könne die Muslime der Welt zum Dschihad gegen die Feinde Deutschlands aufstacheln, war der Orientalist Max von Oppenheim (1860-1946). Er überzeugte die Berliner Ministerien von seinem Plan und organisierte die in Kriegszeiten äußerst mühsame Expedition.

Der Leiter der Expedition war zunächst der Diplomat Wilhelm Wassmuss (1880-1931).

Wilhelm Wassmuss
Nach Meinungsverschiedenheiten mit Wassmuss übernahm der Offizier und Geograf Oskar von Niedermayer (1885-1948) ab Bagdad die Führung.


Oskar Niedermayer (Mitte)
Auch der österreichisch-tschechische Orientalist Alois Musil (1868-1944) figuriert in diesem Roman.

Alois Musil
Steffen Kopetzky holt diese Männer für eine Lesewoche aus dem Staub der Geschichte. Wir erschaudern.

Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ - Ein Leserblog (3): Die reichhaltigsten 15 Jahre der deutschen Geschichte

In der ersten Hälfte des Romans „Risiko“ erzählt Steffen Kopetzky vom abenteuerlichen, aber auch todbringenden Einsatz des erst deutschen und dann türkischen Kriegsschiffes „Breslau“ im Mittelmeer kurz vor dem ersten Weltkrieg und während der ersten Kriegsmonate; in der zweiten Hälfte geht es um die Geschichte der deutschen Afghanistan-Expedition vom September 1914 bis September 1915, der sogenannten Niedermayer-Hentig-Expedition, die die Afghanen zum Dschihad gegen die Briten bewegen sollte.



Zusammengehalten werden die beiden Teile vor allem durch die (fiktive) Hauptfigur, den Funker Sebastian Stichnote und das (poetologische?) Element des „Großen Spiels“. Mit letzterem, denke ich, steht und fällt die Qualität dieses Romans, der ja nicht umsonst den Namen eines berühmten Kriegsspiels trägt. Aber dazu später.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte man (ich?) einen deutschen Roman, der im ersten Weltkrieg spielt und nicht eindeutig das Antikriegs-Label von Remarques „Im Westen nichts Neues“ bedient, nur mit einem gewissen Stirnrunzeln angefasst. Aber hundert Jahre nach Kriegsbeginn hat sich sowohl durch die vergehende Zeit als auch durch die mit ihr einhergehende Relativierung in der internationalen Geschichtswissenschaft die von meiner Generation angenommene Eindeutigkeit der Schuldfrage in einer Serie von Fragezeichen und neuen Erkenntnissen aufgelöst.

Was bleibt, ist dagegen die Rückprojektion der Ergebnisse aus der Vergangenheitsarbeit am Zweiten Weltkrieg, die jedem Deutschen einen unbefangenen Umgang mit „Helden“ auch vorangegangener Zeiten verbieten sollte. Aber nicht die Thematisierung jener Zeiten und Helden überhaupt! Die ersten 15 Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts zum Beispiel sind eine der reichhaltigsten und interessantesten Perioden der deutschen Geschichte hinsichtlich Kultur, Wissenschaft, Technik, Politik und Gesellschaft. Und Steffen Kopetzky schöpft mit vollen Händen aus diesem vernachlässigten Fundus.

Vor ihm hat das auch Christian Kracht getan, dessen Roman „Imperium“ ein Beispiel dafür gibt, wie eine poetologisch sinnvoll eingesetzte Rückprojektion von Geschichtserfahrung aussehen kann, ohne dass ein didaktisch verquastes, langweiliges Gebilde dabei herauskommt.

Ist Steffen Kopetzky mehr als ein Karl May unserer Tage, der uns mit Hilfe einer Handbibliothek in andere Zeiten und Länder versetzt?

Fortsetzung (und irgendwann auch die Antwort) folgt.


Montag, 23. März 2015

Steffen Kopetzkys Roman “Risiko” – Ein Leserblog (2): Exkurs zu einem niederländischen Nationalhelden



Steffen Kopetzky gibt zu Anfang von „Risiko“ ein korrektes Bild der unruhigen Situation in Albanien 1914, konzentriert sich dabei aber auf den Einsatz des deutschen Kreuzers S.M.S. Breslau und seiner Mannschaft als Teil einer internationalen Friedensmission.

Die niederländischen Offiziere, die in Albanien eine Polizeitruppe aufbauen sollten, werden zwei Mal kurz erwähnt (Seite 22 und 45). Dabei lässt Kopetzky die krisenhafte Zuspitzung der Lage insbesondere für die Niederländer (siehe unten) außer Acht. Diese ist für die Romanhandlung im Zusammenhang mit der Hauptfigur, dem deutschen Funker Sebastian Stichnote, auch nicht notwendig: Er erlebt seine eigene lebensbedrohliche Krise durch ein Techtelmechtel mit einer Einheimischen. Damit introduziert der Autor die love story, die seinen Roman durchziehen wird.

Zur Lage der Niederländer mache ich hier nur deshalb einen Exkurs, weil es einen Zusammenhang mit meinem Wohnort Groningen gibt.

Also: Zwölf Tage vor dem Landgang des deutschen Detachements in Durrës (Durazzo) war der niederländische Major Lodewijk Thomson dort von einer (verirrten?) Kugel tödlich getroffen worden. Dieser Vorgang führte zu großer Verunsicherung bei den niederländischen Offizieren. Sie verließen dann bereits Ende Juli das Land wieder.

Major Thomson hatte schon zu Lebzeiten bei seinen Untergebenen und in den Niederlanden einen Kultstatus genossen, an dem er durch geschickte Medienarbeit mitgewirkt hatte. Nun war er der erste niederländische Militär, der auf einer internationalen Friedensmission ums Leben gekommen ist. Sein Tod führte zu einer gewaltigen Anteilnahme in seinem Heimatland. Der Leichnam wurde überführt und am 15. Juli 1914 auf dem Groninger Friedhof „Zuiderbegraafplaats“ bestattet. Der Sarg kam per Schiff in Amsterdam an und wurde mit der Bahn nach Groningen gebracht. An der Bahnstrecke standen mehrere Regimenter und tausende Bürger Ehrenspalier, und die Stadt Groningen hatte einen solchen Trauerzug wohl noch nie erlebt. Es gibt Filmaufnahmen davon, die  auf Vimeo zu sehen sind.
 
Die Grabplatte auf dem Groninger Zuiderbegraafplaats
Am Hereweg steht ein Denkmal Thomsons am Ort der ehemaligen Rabenhauptkaserne (zwischen den heutigen Wohnhäusern Nr. 109 und 111. Letztes Jahr wurde anlässlich des 100. Todestages eine Kopie in Den Haag aufgestellt.
Denkmal für Lodewijk Thomson am Hereweg in Groningen

Samstag, 21. März 2015

Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ – Ein Leserblog (1)



Die enthusiastischen Rezensionen zu Steffen Kopetzys historischem Abenteuerroman „Risiko“ (Stuttgart 2015: Klett Cotta, € 24,95) haben mir solchen Appetit auf dieses Buch gemacht, dass ich beschlossen habe, ihm ein Leserblog zu widmen: Während der nächsten ein, zwei Wochen berichte ich portionsweise von meiner Lektüre und den Assoziationen, die sie bei mir bewirkt.


Für diesen ersten Beitrag habe ich gleich auf den ersten Seiten des Romans einen thematischen Aspekt ganz nach meinem Geschmack gefunden: Es gibt eine hochinteressante deutsch-niederländische Konnotation, die einen Platz in meiner Begegnungsgeschichte dieser beiden Länder bekommen würde (wenn ich die denn doch noch mal schreiben sollte).


Die Romanhandlung setzt am 27. Juni 1914 ein, dem Tag vor dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger. Ort der Handlung ist die albanische Hafenstadt Durrës. Das Fürstentum Albanien war  1912 auf der Londoner Botschafterkonferenz geschaffen worden.
 
Wilhelm zu Wied als Fürst von Albanien
 
Als Fürst wurde ein deutscher Prinz eingesetzt: Wilhelm zu Wied (im Roman auf Seite 16 erwähnt). Er hatte zwar keine Ahnung vom Land, seiner Kultur und Sprache, aber er sollte als neutrale Figur zur Befriedung Albaniens und der Region beitragen.


Wilhelm zu Wied (1876-1945) war übrigens der Sohn einer niederländischen Mutter: der Prinzessin Marie von Nassau. Damit war er auch ein Neffe der niederländischen Königin Wilhelmina. Seine Regentschaft währte nur von März bis Anfang September 1914: Nach Ausbruch des Weltkrieges musste er das Land verlassen (er hat aber nie abgedankt).


Es gab in den Jahren vor 1914 eine intensive Zusammenarbeit der europäischen Mächte zur Aufrechterhaltung des Friedens in europäischen Krisenregionen, insbesondere auf dem Balkan. Weitere auf der Botschafterkonferenz beschlossene Maßnahmen zur Befriedung Albaniens waren der Schutz des fürstlichen Palastes durch das deutsche Kriegsschiff S.M.S. Breslau und der Aufbau einer Polizeitruppe durch niederländische Offiziere. Zu Anfang der Handlung geht ein zehnköpfiges Detachement der Breslau unter Leitung des Leutnants Dönitz an Land (Dönitz? Da war doch was? Ja, tatsächlich: Es handelt sich um den späteren Großadmiral und Hitlers Nachfolger.) Ich zitiere:


„An einem belebten Platz, auf dem heruntergekommene venezianische Palazzi und Bürgerhäuser standen, stießen sie auf drei Angehörige der leuchtend grün uniformierten Polizeitruppe des Stadtkommandanten, die von niederländischen Offizieren geleitet wurde und deren Patrouille nun mit Leutnant Dönitz in ein Gespräch über das Ziel seiner Mannschaft trat“ (Risiko, S. 22f.).


Tja: eine deutsch-niederländische Zusammenarbeit, von der heute kaum ein Niederländer oder Deutscher noch etwas weiß.


Bei der weiteren Entfaltung des Romananfangs hat Steffen Kopetzky einen Umstand außer Acht gelassen, der auch noch eine Konnotation zu meinem niederländischen Wohnort Groningen gehabt hätte. Aber davon morgen mehr. Ich gehe jetzt auf einen Groninger Friedhof und suche das Grab eines niederländischen Nationalhelden, von dem ich bis heute nichts wusste…