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Freitag, 21. März 2014

Kaiserdämmerung (2) – Peter Altenberg, Es geht zu Ende

Peter Altenberg, Es geht zu Ende (1896)

Peter Altenberg
Sonniger Herbsttag - - -. An sonnigen Stellen Wärme, Hitze - - an schattigen Stellen Keller-Kälte. Es duftet nach welken Blättern und frischer feuchter Erde. Auf den Uferwiesen stehen kurze dünne helliotropfarbige Striche, Colchicum autumnale.

Braune Libellen baden im Sonnenlicht - - -.

Auf der weißen Straße zwischen den dunkelbraunen Holzbirnbäumen fährt der Herzog mit seinem Sohne in einer offenen Equipage. Ein Tigerfell liegt über ihre Füße. Wie sie an dem kleinen sonnengebadeten Friedhofe vorbeikommen, ziehen sie tief die Hüte ab.

Der Diener am Bock macht das Kreuz.

Nur der fette Kutscher sitzt unbeweglich - - er ist im Amte. Er starrt auf die weiße sonnige Straße mit den Herbstblättern - - -.

Im Garten einer Villa blühen rote und gelbe Georginen.

Auf einer Bank, in der Herbstsonne, sitzt ein junges Mädchen.

Es träumt: »Wird man heuer Ballkleider rund ausgeschnitten tragen?!«

Die Georginen werden in allen Farben gezogen - das sind die Harmonien der Kultur.

Im herzoglichen Garten stehen sie in dicken Büschen, rot und gelb gesprenkelt, weiß und lila, rosa und rostrot, wie Bordeaux-Wein und Safran, wie Alpenglühen und Zimtfarbe - - -.

Die Equipage fährt ein durch das schmiedeeiserne Gittertor mit den goldenen Rosetten. Der Diener springt vom Bock. Der alte Herzog und der junge Herzog steigen aus. Der Diener verbeugt sich tief.

Nur der fette Kutscher sitzt unbeweglich. Er starrt auf die weiße sonnige Allee mit ihren Herbstblättern - - -.

Die hellen Birken zittern. In den Lüften schreien die Krähen »kraa - - kraa!«

Die Georginen stehen da in allen Farben, die hellen glänzen wie Butter, die dunklen sind matt wie Samt.

Hochadel und Villenbesitzer! Ihr sitzt noch in den Gärten in der Herbstsonne und fahrt auf den Landstraßen in den Equipagen - - -! Ihr dürft noch die goldenen Lichter der letzten Herbsttage trinken, ihr, die Georginen und die Krähen - - - krââ!
 
(aus: Peter Altenberg, Wie ich es sehe, 1896)

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