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Mittwoch, 20. November 2013

Christian Morgenstern – Die lesenswerte neue Biografie von Jochen Schimmang


Christian Morgenstern: Er ist uns lieb als der seltene Fall eines deutschen Dichters mit Humor. Viele seiner „Galgenlieder“ sind auch heute noch bekannt. Vom größeren Teil seines Werkes und seines Lebens wissen die meisten dagegen nichts. Dem ist abzuhelfen, denn zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist wieder eine Biografie über ihn erschienen:

Jochen Schimmang, Christian Morgenstern. Eine Biografie, St. Pölten, Salzburg, Wien: Residenz Verlag 2013, 280 S., 24,90.

Es gibt verschiedene Arten, eine Biografie zu schreiben. Der Schriftsteller Jochen Schimmang hat sich in seiner Beschreibung des Lebens von Christian Morgenstern (1871-1914) für eine Methode entschieden, die man archäobiografisch nennen könnte: Um Morgensterns Lebensgeschichte schreiben zu können, hat er ihre schriftlichen Relikte zuvor Schicht für Schicht abgetragen, die Funde sortiert und geordnet und ist dann zur Rekonstruktion und Präsentation dieses Lebens übergegangen. Trotz der vielen vorliegenden schriftlichen Zeugnisse und der Versuche früherer Biografen verfällt er dabei aber nicht der Illusion, die Rätsel und Leerstellen im Leben Morgensterns lösen und füllen zu können. Seine Rekonstruktion ist nicht glatt und gefällig. Sie zeigt die Fundstücke mit ihren Ecken und Kanten, ihren Unübersichtlichkeiten, sie zeigt und wägt die Meinungen anderer Biografen, sie zeigt die Fäden, die sie verfolgt, aber auch die, die in der Luft hängen bleiben (müssen).

Einige wichtige Namen und Themen werden herausgenommen und in komprimierten Exkursen vertieft: Nietzsche, Lagarde, Berlin um 1900, ...; insgesamt elf Mal geschieht das. Innerhalb des Textes erhalten Nebenpersonen manchmal eine übertriebene Flut von Daten bis zu ihrem Lebensende, das weit nach dem Tode Morgensterns liegt. Aber oft erfüllen diese erzählerischen Prolepsen gerade den Sinn, den Leser besser in die Zeitzusammenhänge Morgensterns einzuführen. Wenn wir dann im Sterbekapitel angelangt sind, fragt sich der Leser allerdings, warum es danach noch fünf Kapitel lang mit immer neuen Aspekten weitergehen muss.

Der vorherrschende Eindruck ist jedoch, dass es sich hier um eine mit großer Kompetenz geschriebene Biografie handelt, die zurecht die zehn, zwanzig Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs als die spannendste, kreativste und widersprüchlichste Zeit der deutschen Geschichte sieht. Es ist eine moderne Biografie, die ihre technische Infrastruktur ebenso nach außen kehrt wie das seinerzeit gewöhnungsbedürftige Centre Pompidou in Paris. Das behagt nicht jedem. So what?

Ab und zu richtet der Archäobiograf Schimmang sich von seiner Arbeit auf, wischt sich den Schweiß von der Stirn und macht eine Bemerkung aus seinem Jetzt, die eigentlich nichts zur Sache tut, aber treffend ist oder Humor zeigt, Morgensternschen Humor.

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