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Dienstag, 12. März 2013

Reinhard Jirgl, Nichts von euch auf Erden: BRD und DDR, kosmosschwer!

Natürlich habe ich Reinhard Jirgls neuen Roman nicht liegen lassen können und schon mal hundert Seiten hineingelesen, 110, 120, 130… Da kam ein furchtbarer Verdacht in mir auf:

Was wäre, wenn mit dieser episch breit ansetzenden utopischen Erzählwelt, die uns die Geschichte der kommenden fünf Jahrhunderte vorführt, in denen sich ein durch Genmanipulation befriedeter Teil der Menschheit auf der Erde und ein agressiver, dynamischerer Teil auf dem Mars weiterentwickelt hat, was wäre, wenn mit dieser Erzählwelt eine wild auswuchernde Parabel des geteilten Deutschland beabsichtigt ist?
Fritz Raddatz hat sich nämlich von Jirgl aufs falsche Gleis lenken lassen, als er in der immer noch einzigen größeren Rezension tief enttäuscht schrieb:

“Meine Faszination war wohl nicht zuletzt entzündet von der bohrend-intensiven Auseinandersetzung mit der Schrott-Welt namens DDR, die uns der 1953 in Ost-Berlin Geborene [Jirgl] ‘aufhob’ im Hegelschen Doppelsinn des Wortes. Von diesem Mini-Kosmos hat Jirgl sich nun in seinem neuen Roman gänzlich gelöst.”

Reinhard Jirgl
Pustekuchen! Jirgl hat ganz im Gegenteil diesen Mini-Kosmos in seinem neuen Roman zu einem Maxi-Kosmos aufgebläht und uns die “Schrott-Welt” der DDR in einer “kosmosschweren” Parabel aufgehoben. “Damit wir nicht vergessen das Land, das in den Abend gehend Dienacht betrat”: so die erste Zeile des Romans.

Der Roman zoomt nach den episch erzählenden Teilen auf den Tag im 25. Jahrhundert ein, an dem die Mars-Menschen auf die Erde zurückkehren. Just in jener Nacht wird die “Imagosphäre” zerstört, die die Erdmenschen vor den Unbilden der Natur beschützt und unter einer Art Kontrollschirm gehalten hat. Der Leser erlebt den Vorgang aus der Perspektive der 25jährigen Hauptfigur (die Orthographie ist Jirgls Spezialität):
“!Welch gewandeltes Bild, !welch Anblick: Auch jetzt füllt den Platz Einegroßemenge Menschen, vermutlich auch sie auf der Suche nach Demfehler im kommunalen Großrechner, unterhalb dieser Esplanade stationiert. ?Weshalb aber harren sie hier=?oben aus. Die meisten offenbar aus dem Schlaf gerissen, ungeschminkt nachlässig die Leiber mit Irgendkleidungsstücken dürftig verhüllt, drängen sie dichtandicht zu 1ander, - schweigend kein Laut – und der Meisten Köpfe gehoben, dorthin wo in Hundertemetern über uns bis vor-Kurzem noch die Imagosfäre ausgespannt schwebte. -? Warum ist Unser=Himmel ?erloschen.”

(Jirgl, Nichts von euch auf Erden, 129)
Das ist die Nacht des Mauerfalls! Seite 129. Solange habe ich gebraucht, um darauf zu kommen! Das zeigt das Erzählte in einem neuen Licht.

Jirgl könnte zwei literarische Utopien als Vorbilder für seinen Einfall benutzt haben: Alfred Döblins “Berge, Meere und Giganten” (1924) und Kurd Lasswitz’, “Auf zwei Planeten” (1897). Um meine Hypothese zu untermauern, werde ich in diesem Blog ein Lesetagebuch  führen.

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