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Montag, 2. Juli 2012

Kulturen des Bruchs (1): Drei alte Knaben in der Zielkurve

Um Bohrer, Gumbrecht und Lethen zu sehen, bin ich letzte Woche nach Berlin gefahren. Diese drei älteren Herren (79, 64 und 73) waren zur Tagung „Kulturen des Bruchs“ eingeladen, um dort darüber zu sprechen, was uns im 21. Jahrhundert jenseits der Erinnerungskultur der letzten Jahrzehnte erwartet. Wenn sie dazu etwas gesagt haben, ist es mir entgangen.

Dafür wurde ich Zeuge eines amüsanten intellektuellen Pingpongspiels zwischen Hans Ulrich Gumbrecht und Helmut Lethen über Nähe und Distanz des (Kultur-)Wissenschaftlers zu seinem Objekt. Sie zelebrierten in ihrem Podiumsgespräch (zusammen mit Ulrich Raulff und dem Moderator Stephan Schlak) eigentlich eine etwas verzweifelte Koketterie mit dem schönen Augenblick, der nicht verweilen will: Bei Gumbrecht ist das sehr deutlich in seiner romantischen Theorie der „Präsenz“ geronnen. Lethen bohrte daran herum, gab sich aber selbst nicht preis, auch nicht nach dem Gestichel von Ulrich Raulff. Er las lieber lange Zitate nicht Anwesender vor und provozierte damit ein Stirnrunzeln des schlaksigen aber hochkompetenten Moderators.

Karl Heinz Bohrer hielt gesenkten Hauptes in hohem Tempo und gnadenloser Dichte einen Vortrag über poetische Erinnerung (im Kontrast zur historischen), aus dem zwei Drittel des Publikums bei erster Gelegenheit die Flucht ergriff. Dadurch verpassten viele die unwillig hervorgestoßenen Bekenntnisse des grantigen Grandseigneurs (mit Dank an Stephan Schlak: Er hat sie ihm abverlangt) zu seinem im Oktober erscheinenden ersten Roman, der eine Exemplifikation seiner Theorie der poetischen Erinnerung anhand seiner eigenen Kindheit im Kölner Bombenhagel sein soll.
Auch Gumbrecht und Lethen veröffentlichen in diesem Jahr Bücher, in denen sie ihre Altersweisheit an Jugenderinnerungen koppeln. Kein Zufall gewiss: dass drei alte Knaben in der Zielkurve ihrer Karrieren vom Hier und Jetzt ergriffen sind und es anhand ihrer Jugendzeit zu er- und begreifen suchen. Zielkurven sind ja gefährlich: Man muss durchstarten und darf dabei nicht aus der Bahn fliegen.

Ich habe dazu ein Foto gefunden. Hier sehen wir Bohrer, Gumbrecht und Lethen: Sie haben sich die Helme aufgesetzt und suchen Bodenberührung.

Ach ja: die Titel der drei zu erwartenden Bücher, meine Lesekurve in den folgenden Monaten:
Karl Heinz Bohrer, Granatsplitter. Eine Erzählung (30. Juli 2012)

Hans Ulrich Gumbrecht, Nach 1945: Latenz als Ursprung der Gegenwart (13. August 2012)

Helmut Lethen, Suche nach dem Handorakel: Ein Bericht (Oktober 2012)

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