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Sonntag, 4. März 2012

Poetologie des Blogs (5): Das große Kulturspiel

Am Ende seines ansonsten sehr lesenswerten Artikels Kulturelle Atomkraft erlaubt sich Peter Glaser einen eher unbeholfenen Bildbruch: „Leute, schmiedet neue Moleküle! Lasst die digitalen Bunsenbrenner glühen!“

Nachdem er die kulturelle Ursuppe mit molekularen Metaphern beschrieben hat, nun dies! Und gerade an dem Punkt, wo es spannend wird, beim Instrumentarium, das uns zu den neuen Kulturformen im WWW verhelfen soll: ein Bunsenbrenner! Mein Gott!!

Hier ein Gegenvorschlag: Woran erinnert das folgende Zitat?

„Das Glasperlenspiel ist also ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur, es spielt mit ihnen, wie etwa in den Blütezeiten der Künste ein Maler mit den Farben seiner Palette gespielt haben mag. Was die Menschheit an Erkenntnissen, hohen Gedanken und Kunstwerken in ihren schöpferischen Zeitaltern hervorgebracht, was die nachfolgenden Perioden gelehrter Betrachtung auf Begriffe gebracht und zum intellektuellen Besitz gemacht haben, dieses ganze ungeheure Material von geistigen Werten wird vom Glasperlenspieler so gespielt wie eine Orgel vom Organisten, und diese Orgel ist von einer kaum auszudenkenden Vollkommenheit, ihre Manuale und Pedale tasten den ganzen geistigen Kosmos ab, ihre Register sind beinahe unzählig, theoretisch ließe mit diesem Instrument der ganze geistige Weltinhalt sich im Spiele reproduzieren.“
Das ist doch viel hübscher: ein Spiel von potentiell großer Komplexität, innerhalb des Zitats dann auch noch verglichen mit einer Orgel, womit das Gemeinte den Charakter von Musik und spielerischer Kombinatorik & Komposition erhält.

Und ganz recht: das stammt aus Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel (1943). Nun hätte ich Verständnis dafür, dass jetzt jemand ruft: „Hermann Hesse! Mein Gott!!“
Aber es lohnt sich, einen Augenblick bei dem utopischen Spiel und seinen mysteriösen Regeln stehenzubleiben. Im deutschen Wikipedia-Artikel wird es so charakterisiert:

„Die genauen Regeln dieses Spiels werden nur angedeutet und sollen so kompliziert sein, dass sie nicht einfach zu veranschaulichen sind. Das Spiel hat bereits quasirituellen Charakter angenommen; Ziel scheint es zu sein, tiefe Verbindungen zwischen anscheinend nicht verwandten Themengebieten herzustellen und theoretische Gemeinsamkeiten von Künsten und Wissenschaften aufzuzeigen. Beispielsweise wird ein Bach-Konzert mit einer mathematischen Formel verknüpft.“

Ich will gar nicht in Hesse-Welten abtauchen. Mir geht nur um eine ästhetisch adäquate Struktur. Hesse ist ein Mann des vergangenen Jahrhunderts. Man müsste also seine Orgel an das kulturelle Register des 21. Jahrhunderts anpassen. Und seine Terminologie an Web und serendipity!

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