Cookie

Samstag, 31. März 2012

Hatte Winnetou eine niederländische Squaw? - Zum Karl-May-Jahr

Zwei berühmte Deutsche prägen dieses Jahr die deutsche Erinnerungskultur: Friedrich der Große (300. Geburtstag) und Karl May (100. Todestag).

Alle deutschen Tageszeitungen und sogar die niederländische NRC widmen in diesen Tagen Karl May besondere Aufmerksamkeit. Aber machen wir mal die Probe aufs Exempel und stöbern nach Spiegel-Titelgeschichten. Hier ist eine aktuelle zu Friedrich und hier eine zu Karl Mays 50.Todesjahr aus dem Jahr 1962.

Wie alle deutschen Jungen habe ich fanatisch Karl May gelesen, mindestens 50 Bände. Insgesamt hat Karl May eine 100 Millionen-Auflage. Allerdings geht das Interesse der heutigen Jugend an ihm deutlich zurück.

Das hier soll die älteste Winnetou-Darstellung (von 1879) sein, aber sie verwundert mich ein wenig: Winnetou als Vater mit Baby im Arm habe ich gar nicht in Erinnerung. In welchem Roman soll diese Szene bloß spielen? Und die Squaw dann: Wer ist sie? War sie etwa eine Niederländerin? Schaut euch ihr Kleid an! Und sie tritt auch ziemlich resolut auf. Bezweifelt Winnetou gar seine (sensationelle) Vaterschaft?


Auch in den Niederlanden, in denen er wegen seines Namens häufig für einen Amerikaner gehalten wird, gab es schön gebundene Ausgaben seiner Werke. Die dicken Bände sind antiquarisch noch ganz gut zu bekommen.



Der Spiegel 1947-2011 gratis online

Sämtliche Artikel des SPIEGEL von 1947-2011 können auf der Website gratis im pdf-Format gedownload werden.

Freitag, 30. März 2012

Mozarts „Entführung aus dem Serail“: ab 18 Jahren

Die Diskrepanz zwischen traditionellen und modernen Inszenierungen habe ich nie so verstanden, dass man sich zu dem einen oder dem anderen Lager schlagen müsse. Obwohl: Bei modernisierenden Eingriffen in Text und Handlung bin ich konservativ. Ich rege mich schon bei Kürzungen auf. Ein paar sparsame aktualisierende Eingriffe darf es aber schon geben.

Es gibt viele moderne Inszenierungen, denen es gelingt, bei absoluter Texttreue eine deutlich kontrastierende Interpretation zu liefern. Besonders umstritten ist in den letzten Jahren die Arbeit des spanischen Regisseurs Calixto Bieito. Seine Bühne ist voll von Blut, Gewalt und Nacktheit. Ich habe von ihm nur Die Entführung aus dem Serail in der Komischen Oper in Berlin gesehen und war sehr fasziniert. Er spielt die Tatsache, dass es sich ja tatsächlich um eine gewalttätige Handlung handelt, voll aus. Entführung, Gefangenschaft, Sex, sexuelle Bedrohung, Folter, Gewalt: all das ist in diesem Stoff vorhanden und wird in den traditionellen Aufführungen meist nur ganz orientalisch-niedlich dargestellt. Hier ist es krass, sehr krass sogar und natürlich gewinnt so das Bühnengeschehen eine ablenkende, vielleicht sogar vorherrschende Macht über die Musik Mozarts. Es gibt eine Folterszene, in der der Körper einer Frau in einer Realistik zerschnitten wird, die jeden Betrachter entsetzen musste und Teile des Publikums in Aufregung und Abscheu versetzte.
„Wo bleibt denn da Mozart“, rief ein junger Besucher empört. Und ich fühlte mich spontan versucht, zurückzurufen, dass Mozart im 21. Jahrhundert angekommen sei. Aber ich bin kein Zwischenrufer. Ich kann nicht einmal „Buh“ rufen. Das Publikum war überhaupt sehr lebendig an dem Abend. Es wurde viel gepfiffen. Und das heißt ja auch, dass die Oper lebt und eine Existenzberechtigung hat.

Auf YouTube gibt es hierzu nur ein sehr kurzes Fragment. Diese Inszenierung ist in Berlin in diesen Wochen noch zu sehen. Kurios, dass es heutzutage noch (oder wieder?) sogar bei einer Oper möglich ist, eine Empfehlung ab 18 Jahren (niemand braucht seinen Ausweis zu zeigen)  auszusprechen:




Spektakulär ist auch diese Szene, die offenbar ein Zuschauer mit seinem Handy aufgenommen hat:




Donnerstag, 29. März 2012

"Die Zauberflöte" von Opera Zuid: Flöte ohne Zauber

Während der Ouvertüre sehen wir auf der Bühne ein modernes, aber ödes Großraumbüro mit fünf Computerarbeitsplätzen, an denen fünf Angestellte arbeiten. Hinter einer Glaswand sitzt der Chef in seinem Chefbüro und hält ein wachsames Auge auf seine Untergebenen. Den direkten Kontakt zu ihnen pflegt eine unangenehme (Unter)Chefin, die alle zur Sau macht. Eine junge Putzfrau erscheint mit dem Staubsauger, ein merkwürdiger Straßenhändler dringt ins Büro ein und will irgendwelchen Tand verkaufen.

Hier haben wir – so ahnt man schon - das Personal dieser Oper, die aus einem gemeinsamen (?) Traum der beiden erschöpft in Schlaf gesunkenen Angestellten links und rechts bestehen wird: eines jungen Mannes (Tamino) und einer jungen Frau (Pamina). Der Chef wird in diesem Traum Sarastro sein, die bitchige Unterchefin die Königin der Nacht, der Straßenhändler Papageno und die Putzfrau Papagena.

Der deutsche Regisseur Bruno Berger-Gorski macht das Operngeschehen der Zauberflöte von dieser Grundidee abhängig. Dementsprechend (?) besteht die Aufnahmeprüfung Taminos und Paminas bei den Eingeweihten aus der Konfrontation mit der Welt des Geldes (Feuer) und der Digitalisierung (Wasser).

Durch diese Interpretation wird der Gehalt und das Potential dieser schönsten aller Mozartopern stark eingeschränkt und versimpelt. Vor allem tritt der Konflikt und Zusammenhang der Sphäre der Königin der Nacht und der Sphäre Sarastros in den Hintergrund, ja er verliert seinen Sinn sogar total, denn beide werden als Funktionäre ein und derselben Welt des Geldes und der Daten gezeigt.
Konsequenterweise (?) und zum Teil ungewollt zeigte sich das an diesem Abend in Groningen auch in den Auftritten, Kostümen und Gesangsleistungen der Figuren: eine erkältete Königin (Christina Rümann), die die in ihr wogenden Gefühle nicht zum Ausdruck bringen kann, ein blasser Sarastro (Andreas Mitschke) mit kuriosem Kopfputz (Punker? Irokese?), dem wir weder seine Autorität, noch seine Weisheit abnehmen können und dessen eigene tragische Beziehung zu Pamina keinen Ausdruck bekommt. Ein Monostatos – bei Mozart auch ein Mensch – der hier nur widerlich sein darf… Keiner von ihnen bringt einen Funken zum Publikum hin zustande. Wie schade!

Das alles gibt aber Tamino und Pamina die Möglichkeit, mehr als sonst in dieser Oper üblich, in den Vordergrund zu treten und mit ihren Auftritten und Gesangsleistungen den Abend zu retten: Tamino hat es in traditionellen Aufführungen immer schwer und erscheint oft genug als arroganter und etwas dümmlicher Prinz. Nicht hier: Der Tenor Elmar Gilbertsson lässt ihn sympathisch, attraktiv, intelligent und zupackend erscheinen. Und die junge türkisch-niederländische Sopranistin Aylin Sezer ist eine ganz wunderbare Pamina, die ihren Schmerz und ihre Gefühlsverwirrungen sängerisch großartig gestaltet. Am Ende erwachen die beiden im Büro, erkennen ihre Liebe und geben sich einen langen Kuss.

Was (der spielerisch und sängerisch gute) Papageno und all die anderen dann noch sollen…? Es wird nicht so deutlich.
Die drei Knaben, leider durch Frauen gesungen, was sollen sie? Ich weiß es nicht.
Das Freimaurertum, das, entgegen dem Libretto, auch explizit im Text genannt wird, was soll es hier mit all den blöden Schürzchen? Beim Abtrocknen helfen? Oh je, oh je!

Der Regisseur hat in seinem unbedingten Willen zur banalen Modernisierung trotz seiner weitgehenden Texttreue Mozart und seinen Librettisten Schikaneder völlig vergessen. Als Leitsymbol wählt er das Ying-Yang-Zeichen, das den armen Zuschauer die ganze Oper hindurch belästigt: Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht. Nein, tut mir leid, so einfach geht das nicht!

Also warten wir auf die Zauberflöte der Nederlandse Opera im Muziektheater Amsterdam im Dezember 2012. Der Vorverkauf beginnt am 6. September.

P.S.: Aylin Sezer erschien als einzige nicht zum Schlussapplaus. So konnte ich mein "Bravo!" nicht loswerden. Aylin, wat was er?

Mal sehn, was die im Osten treiben


Und zur Ausgewogenheit hier ein Wahlwerbespot der CDU aus den fünfziger Jahren:

Mittwoch, 28. März 2012

Plietsch & Plemm 1957: Woll'n mal sehn, was die Menschen treiben

Ein Student bereicherte seine Präsentation über Atomwaffen in der Bundesrepublik gestern mit diesem Werbespot der SPD aus dem Jahr 1957:

Montag, 26. März 2012

Kunstkompass 2011

Auf dem internationalen Kunstkompass stehen auf den ersten fünf Plätzen - zum Teil schon seit Jahren - drei Deutsche. Die Liste wird jährlich nach einem komplizierten Punktesystem ermittelt, das auf Ausstellungen, Rezensionen etc. beruht.

Ich kenne und schätze diese drei Deutschen, die auf ihre jeweils eigene Art auch die deutsche Vergangenheit verarbeiten. Gerade deshalb finde ich dieses Top-Ranking verblüffend. Ich werde in den nächsten Tagen (oder Wochen?) Gerhard Richter, Georg Baselitz und Anselm Kiefer einen oder mehrere Beiträge widmen.

Bis zu seinem Tod vor zwei Jahren hat übrigens auch Sigmar Polke lange Zeit auf den vorderen Plätzen gestanden: auch er widmete sich in seinem Werk der deutschen Vergangenheit. Das kann dann wohl kein Zufall sein.

Rang
Name
Material
Land
Vergleich zum Vorjahr
1
Richter, GerhardGerhard Richter
Malerei
Deutschland
– (1)
2
Nauman, BruceBruce Nauman
Objektkunst, Video-Art
USA
– (2)
3
Baselitz, GeorgGeorg Baselitz
Malerei
Deutschland
Arrow up green.svg(4)
4
Sherman, CindyCindy Sherman
Fotografie
USA
Arrow up green.svg(?)
5
Kiefer, AnselmAnselm Kiefer
Malerei
Deutschland
Arrow up green.svg(?)


Sonntag, 25. März 2012

Piraten an der Saar



Nach Berlin hat die Piratenpartei heute mit siebeneinhalb Prozent spektakulär den Landtag des Saarlandes geentert. Besonders interessant ist, dass 25 % der Erstwähler die Piraten gewählt haben: ein Trend, der sich dieses Jahr in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen fortsetzen wird.
Die Grünen sind die Partei der 68er-Bildungsbürger, die trotz Bio-Nahrung am Verfetten und Veröden sind und denen der junge Nachwuchs fehlt.

Der Kapitän der Saarländer Piraten ist die 22jährige Jasmin Maurer: die jüngste Parteivorsitzende Deutschlands. Diese Verjüngung der Politik ist für deutsche Verhältnisse ganz ungewöhnlich und extrem wichtig für die demokratische Zukunft.

Allerdings habe ich Jasmin bei den Parteieninterviews der Nachrichtensender nach 18 Uhr vermisst. Dort tauchten langhaarige Freibeutertypen auf. Haben die sie etwa nur vorgeschoben?

P.S. vom Tag danach: Jasmin Maurer hatte Kreislaufprobleme wegen dem anstrengenden Wahlkampf. Ihr wisst ja: Deutsche haben es immer mit dem "Kreislauf", auch wenn sie noch jung sind.

Zeiträuber

Heute Nacht haben die Zeiträuber wieder zugeschlagen. Mitten in der Nacht, wenn es nicht so auffällt, haben sie uns eine Stunde gestohlen!

Und es geht nicht nur um eine abstrakte, dunkle Stunde, in der wir sowieso geschlafen hätten. Nein, jedem von uns ist eine Stunde gestohlen worden, 16 Millionen Stunden in den Niederlanden, mehr als 80 Millionen Stunden in Deutschland, 500 Millionen Stunden in der Europäischen Union: einer der größten Diebstähle aller Zeiten.

Heute Morgen habe ich es gemerkt: Mir fehlt eine Stunde. Sie war weg! Spurlos verschwunden! Nicht einmal meine Uhren hatten davon etwas gemerkt; nur die Computer tun so, als wäre nichts geschehen. Sind sie mit den Tätern im Bunde?

Wer sich mit diesem empörenden Verbrechen nicht abfinden will, dem sei der Verein zur Verzögerung der Zeit empfohlen. Hier ist auch noch ein Interview mit seinem Gründer, dem Klagenfurter Professor Peter Heintel.
Nicolette Krebitz
Walter Kappacher
Helmut Krausser

Wolfgang Herrndorf

Nicolette Krebitz

Michael Haneke

Peter Handke

Samstag, 24. März 2012

Integrationswunder Bushido

Bei der diesjährigen Verleihung der Echo-Preise hat der deutsche Rapper Bushido den Preis für den kitschigsten Video-Clip erhalten (zusammen mit Peter Maffay und dem Rapper Sido). Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Ich habe mir erspart, die Sendung anzugucken, war wohl auch noch zu mitgenommen von der Bambi-Verleihung im November. Damals habe ich diesen Bericht geschrieben:

Ich will auch einen Bambi!
Ich habe mir die gestrige Bambi-Verleihung im Fernsehen von Anfang bis Ende angesehen. Angesichts der hoch verdichteten emotionalen Verkitschung, falschen Rührseligkeit und zur Schau gestellten Scheinmitmenschlickeit dieser Sendung gehe ich davon aus, dass ich der einzige Zuschauer bin, der sich dieser Tortur freiwillig unterzogen hat und fordere deshalb für mich den „Bambi für den interessierten Zuschauer der Bambiverleihung“.

Warum tue ich mir das an? In Sendungen dieser Art glaube ich einiges über den inneren Zustand der deutschen Nation erfahren zu können. Gerade hinter der Maskerade des zur Schau gestellten Gutmenschentums zahlreicher höchst unterschiedlicher und unterschiedlich begabter Künstler und Aktivisten lassen sich die interessantesten Beobachtungen machen. Der Bambi wird ja nicht für eine besondere künstlerische Begabung oder Leistung verliehen, sondern für die Art, wie der oder die Gekürte damit in der Öffentlichkeit unter irgendwelchen medialen Mäntelchen zu punkten weiß.
Das gilt auch für Bushido: Er bekommt den Integrations- Bambi leider nicht für seinen genialen Rap, sondern für seine vielfachen hochbegabten und wohlberedten Auftritte in Talkshows und anderen öffentlichen Veranstaltungen als der „bekehrte” Sex- und Gewaltgangsta, der seine schlechte Vergangenheit eingesehen und sich zum „guten Jungen“, ja zum Integrationswunderkind gemausert hat. Das ist in der Tat ziemlich unerträglich, egal ob er’s so meint oder nur so tut. Auf jeden Fall hat er verstanden, worauf es ankommt und weiß die Werte und Normen, auf deren Wogen er sich in diese Preisverleihung tragen ließ, perfekt zu bespielen.
Die Teilnehmer dieser Veranstaltung auf der Bühne und im Saal haben diese Werte und Normen so internalisiert, dass viele von ihnen möglicherweise denken, an einer ehrlichen und menschlichen Show teilzunehmen. Jedenfalls können sie so gucken, wenn die Kamera auf sie gerichtet wird. Es ist dann auch eher Beschränktheit oder ein großes Missverständnis und ein Bruch der eigentlichen Werte und Normen des Abends, wenn der männliche Teil von Rosenstolz auf der Bühne einen empörten und moralistischen Protest gegen die Preisverleihung an Bushido äußern zu müssen glaubte. Das hätte er besser sein lassen können, um so mehr, wenn man den kläglichen Gesang des weiblichen Teils von Rosenstolz mit dem fantastischen Rap von Bushido vergleicht, der aber an diesem Abend natürlich nicht aufgeführt werden durfte.

Rap liegt mir eigentlich überhaupt nicht und amerikanischen Rap habe ich mir nie anhören können. Die Musik von Bushido habe ich vor fünf Jahren kennengelernt, als ich neue Textarten für ein Schulbuch suchte und dabei auf Slam Poetry und unter anderem auf das überragende „Wazlav, der Hamster“ von Gabriel Vetter gestoßen bin. In den Poetry Slams tummelte sich auch die begabte deutsche Rapperin Fiva und irgendwann kam mir dann Bushido vor die Ohren. Da bin ich richtig aufgewacht: das schien mir ein authentisch aggressiver Sound von der Straße zu sein, der natürlich von allerlei sexistischen und politisch unkorrekten Formulierungen durchsetzt ist, aber mein Gott, das muss unsere Gesellschaft ja wohl aushalten können. Sein Rap und seine Performance ist besser als alles, was ich in Deutschland gesehen habe. Das sind Texte aus der Wirklichkeit. Wenn ich mir statt dessen lauter glattgestriegelte und mit Harmlosigkeitssiegeln versehene Songs anhören muss:  danke schön!

Sven Ratzke online

Langeweile am Wochenende? Café Deutschland gibt einen heißen Tipp: Der deutsch-niederländische Kabarettist und Sänger Sven Ratzke ist mit seiner tollen Show “Gigolos & Germans” in der Mediathek von 3sat online zu sehen:

Gigolos & Germans

Martin Walser wird heute 85

Der deutsche Kultursender 3sat bringt heute um 21:45 eine Sendung zum 85. Geburtstag von Martin Walser. Wahrscheinlich kann man sie ab morgen in der 3sat Mediathek unter “Sendung verpasst” online ansehen: http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1

Ich bin ja nicht so ein Fan von Walser, aber wenn ihr mal einen guten Roman von ihm lesen wollt, dann empfehle ich Ehen in Philippsburg (1957).

Freitag, 23. März 2012

Donnerstag, 22. März 2012

Der beste deutsche Roman der letzten zehn Jahre: Jan Brandt „Gegen die Welt“

Meine Begeisterung als Jugendlicher für die Science-Fiction-Serie Perry Rhodan verbindet mich mit Jan Brandt, dessen Roman Gegen die Welt letztes Jahr leider nicht den deutschen Buchpreis gewonnen hat.

Aber da ist noch mehr: Jan Brandt ist – wie ich – in der ostfriesischen Kleinstadt Leer geboren und hat dort auch zeitweise das Ubbo-Emmius-Gymnasium besucht, auf dem ich mein Abitur gemacht habe. Ostfriesland spielt eine große Rolle in diesem Buch.

Das Ubbo-Emmius-Gymnasium in Leer

Seinen 900-Seiten-Debütroman halte ich für den interessantesten und streckenweise sprachlich besten deutschen Roman der letzten zehn Jahre. Und es ist – im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends – endlich einmal ein gegenwartsorientierter Roman, der uns von der zwanzigjährigen Hechelei nach dem großen Wenderoman erlösen kann. Es gibt auch noch Westdeutschland, ein neues Westdeutschland im Gesamtdeutschland. Die ewige doppelte Vergangenheitsbewältigung in Dutzendromanen geht mir langsam auf den Keks.

Leider wird die Dicke des Buches wahrscheinlich das Goethe-Institut davon abhalten, Jan Brandt für eine Lesereise durch die Niederlande zu gewinnen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass, wenn niederländische Deutschstudenten angeblich keine 900 Seiten lesen können, sie anlässlich der Autorenlesungen mit Verfassern kürzerer Romane auch keine 300 Seiten schaffen. Wenn das stimmt, ist es also egal. Man könnte es ruhig mit Jan Brandt versuchen, der übrigens sehr professionelle und vergnügliche Lesungen hält.

Ich habe im letzten Jahr von August bis Oktober in einem anderen Blog mein mehrwöchiges Lesen dieses Buches in einer Beitragsserie kommentiert. Dort finden sich auch Hinweise auf Rezensionen. Wer sich dafür interessiert, findet hier in chronologisch rückläufiger Reihe meine 26 Beiträge (man muss also zurückscrollen, um an den Anfang zu kommen).

Ach ja: Perry Rhodan kommt natürlich auch darin vor.

Aber schaut selbst einmal:

Poetologie des Blogs (9): Eelco Runia, Breukvlak

Vor ein paar Jahren hörte ich, dass ein Kollege, der Geschichtsphilosophie unterrichtet, an einem Roman schreibt. So etwas macht mich neugierig. Als ich in der Buchhandlung in das 2008 unter dem Titel Breukvlak erschienene Buch hinein blätterte und den Klappentext las, war ich sofort gefangen: der Roman ist in Form eines Weblogs geschrieben und handelt von einem sechsmonatigen Aufenthalt des Kollegen an der Stanford-University in Kalifornien.

Das Buch reflektiert, was ein Blog tut und mit uns tut und es handelt von den verschiedenen Annäherungen an die Realität mit Fotos, Kunstwerken und Romanen; es ist ein theoriegesättigtes, also eigentlich ein sehr deutsches Buch und nicht so sehr ein niederländisches. Der Autor hat darin im Übrigen auch viel mit Hans Ulrich Gumbrecht zu tun, dem bekannten deutschen Literaturwissenschaftler in Stanford, der sich mit einer Theorie der Gegenwart beschäftigt.
Aber damit kein falscher Eindruck entsteht: In erster Linie handelt es sich um ein hochamüsantes Amerika-Buch und eine Art Campus-Roman aus europäischer Sicht.

Der Klappentext beginnt so: „Ein Weblog, so überlegte ich während des Essens, ist eine Peepshow. Ich führe ein Kunststückchen vor und ihr guckt zu. Ich weiß nicht, wer guckt oder geguckt hat und welche Kunststückchen euch am meisten erregen.“
Als ich das Buch gelesen hatte, habe ich Kontakt mit dem Autor, Eelco Runia, aufgenommen und eine Probeübersetzung gemacht. Das hat zwar leider nicht zu einer deutschen Ausgabe geführt, aber ich kann jetzt daraus ein paar Teile zur Poetologie des Blogs zitieren:

„Was ist ein Weblog eigentlich genau? Oder besser: was will ich damit? Bis jetzt habe ich so getan, als ob mein Weblog eine Art Tagebuch ist, ein Tagebuch, aus dem ich jeden Tag eine Seite herausreiße, die ich fein säuberlich abgetippt an das große Weltaushängebord hefte. Ein Tagebuch, das an den größten gemeinsamen Teiler der Menschen gerichtet ist, die daran interessiert sein könnten.

Aber das ist es nicht, was ich will. Ich will nicht nur etwas mit der Tatsache machen, dass ich over here bin, herausgerissen und an der Bruchfläche zwischen einem alten und einem neuen Leben, sondern auch mit der Tatsache, dass ein Weblog etwas essentiell anderes ist als eine moderne Variante des Tagebuches. Vielleicht besteht das Wesen des Weblogs nicht einmal so sehr darin, dass es öffentlich ist und Berichte enthält, die verifizierbar an einem bestimmten Tag, ja zu einem bestimmten Zeitpunkt publiziert wurden. Viel wichtiger, glaube ich, ist das Element der Selbstdramatisierung. Ein Weblog (jedenfalls ein persönliches Weblog so wie ich es schreibe) ist verwandt mit einer real-life soap: beide geben vor, ein neutrales Medium zu sein, sind es aber absolut nicht. Sowohl in einem Weblog als auch in einer real-life soap infiziert die Form den Inhalt, der ‚Schauspieler‘ das ‚Drama‘, der ‚Beschreiber‘ das ‚Beschriebene‘. Die pure Tatsache, dass ein Blogger sich vorgenommen hat, ein Blog zu führen, hat Einfluss auf das, was er in dem Weblog beschreibt. Das Weblog beginnt sein Leben zu steuern, stärker noch: es fiktionalisiert sein Leben. In diesem Sinn ist ein Weblog ein Roman, in dem der Blogger im Prozess des Schreibens die Figur erschafft, die den Roman schreibt. So empfinde ich das auch: dieses Weblog wird geschrieben von der Figur, die sich daraus entwickelt, nicht von mir. Und ich bin nicht die Figur, die sich daraus entwickelt – die geht völlig auf Kosten des Schreibers dieses Weblogs.“

Mittwoch, 21. März 2012

Die Zauberflöte (6): Der missverstandene Sarastro

Ich bin gespannt, welches Bild von Sarastro uns die aktuelle niederländische Inszenierung bringt. (Für die Groninger Aufführung am Dienstag, dem 27. März, gibt es noch Karten im 3. und 4. Rang.)

Sarastro ist von Interpreten der 70er Jahre gerne als rassistischer Sklavenhalter und emanzipationsfeindlicher Frauenverächter dargestellt worden. Bei den ach so kritischen Achtundsechzigern überlagerten simple Hollywood-Bildwelten in anachronistischer Verblendung die durchdachten und bedeutungsvollen Allegorien des 18. Jahrhunderts: So wird der von Löwen gezogene Triumphwagen des Sonnenherrschers Sarastro etwa im Sinne des Triumphzuges des römischen Feldherrn im Film Ben Hur interpretiert; die komplexe und auf etwas völlig anderes hindeutende Bildlichkeit wird nicht wahrgenommen.

De facto verkörpert Sarastro im allegorischen Denken der beiden Freimaurer Mozart und Schikaneder die europäische Aufklärung seiner Zeit: die Herrschaft des Lichts gegenüber den Mächten der Finsternis, die Herrschaft des Verstandes gegenüber den Kräften des Irrationalen, des Aberglaubens, der Religionen. Letztere sind in der Gestalt der Königin der Nacht verkörpert.

Aufklärung ist ein Prozess, dem sich sowohl der Prinz Tamino als auch die Tochter der Königin der Nacht Pamina als Mensch und nicht als Angehörige des Adels zu stellen haben. Die Qualität „Mensch“ ist eine andere und höhere als die Qualität Adel; sie muss erworben werden und bleibt eine ständige Herausforderung. „Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht ein Mensch zu sein“: Auch an diesem Spruch haben sich die Achtundsechziger verhakt und verguckt und ihn falsch interpretiert. Simplere Geister wie Papageno bleiben im naturhaften Genuss stecken und erfahren nicht die höheren Weihen des aufgeklärten selbständigen Verstandes. In dem Sinne erwerben sie nicht den geistigen Adelstitel "Mensch" des Zeitalters der Vernunft.
Auch Opern, auch die Zauberflöte, sind übrigens Melodramen, und viele Inszenierungen sind nicht frei von dem, was wir "Kitsch" nennen würden. Kein Wunder, dass ich sie so mag, aber auch da gibt es Grenzen: Man schaue sich an, wie im folgenden Ausschnitt Sarastros "Vernunft" bildlich in einem schrecklich anzusehenden überhöhten Schädel dargestellt wird, wie er von "oben" heruntergelassen wird und dazu die blödsinnigen Löwen, die völlig unmotiviert wirken und dumm in der Gegend herumstehen:


Poetologie des Blogs (8): Ein Geisterschiff?

Ein Blogger schreibt ein Logbuch. Für welches Schiff eigentlich? Und wohin geht die Fahrt?

Apropos: Wunsch, Indianer zu werden


Als ich den Anfang meines letzten Beitrags wieder las, kam mir die Assoziation zu einem der kurzen und rätselhaften (?) Texte von Franz Kafka:
Wunsch, Indianer zu werden
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glattgemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf
Aus: Franz Kafka, Betrachtung (1912)

Dienstag, 20. März 2012

Perry Rhodan und ich

Als Kind wollte ich lange Zeit Indianer werden, aber dann hatte ich Anfang der sechziger Jahre eine erste intellektuelle Phase, die mich auf das Gebiet der Astronomie führte. Eine Reihe wunderbar bebilderter Bücher mit Monden und Sternennebeln faszinierte mich damals ganz außerordentlich. Sie liegen jetzt in einem Karton auf dem Dachboden, daneben das Fernrohr, 30x60, das mir den ersten Blick auf die Krater des Erdenmondes und auf das Hin und Her der vier sichtbaren Jupitermonde eröffnet hat. Ich kann noch immer alle Planeten und Monde des damals bekannten Sonnensystems aufsagen.

Diese Begeisterung führte zu dem beinahe fatalen Fehlschluss, dass ich einige Jahre später den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig des Gymnasiums einschlagen zu müssen glaubte: Ich war inzwischen auch Abonnent einer Zeitschrift für Raumfahrt- und Raketentechnik geworden und sah meine berufliche Zukunft irgendwo zwischen Fernrohr und Mond. Das hätte mich beinahe ein Schuljahr gekostet, aber ich war immerhin so geistesgegenwärtig, mich auf halber Strecke wegen der Fünfen in Mathe und Physik in den neusprachlichen Zweig umsetzen zu lassen. Das ersparte mir die Erfahrung des Sitzenbleibens.

Was mir von den Naturwissenschaften geblieben ist, ist die Verbindung von Science und Fiction beziehungsweise meine Vorliebe für Science Fiction und utopische Romane, nicht viel mehr also als ein paar Hirngespinste. „Das gibt’s ja gar nicht“, pflegte mein Vater zu sagen. Der war realistisch und backte kleine Brötchen = er war Bäcker.
Da war zum Beispiel Perry Rhodan – Der Erbe des Universums, den gibt’s auch nicht. Aber so heißt eine deutsche Science-Fiction-Serie, die seit 1961 ununterbrochen wöchentlich erscheint und mit fast 1,5 Milliarden Gesamtauflage die größte Science-Fiction-Serie der Welt ist. Mehr als 2600 Hefte in mehreren Auflagen und allerlei Merchandising-Brimborium drum herum. Für das originale erste Heft werden inzwischen exotische Liebhaberpreise bezahlt. Die Perry Rhodan Community hat natürlich heute ihre Website.

Jahrelang habe ich Perry Rhodan gelesen und zwar mehr oder weniger heimlich, denn es passte nicht zum intellektuellen Anspruch des Gymnasiums. Man las Camus und Sartre, aber das tat ich sowieso. 
Die Perry-Rhodan-Autoren beuteten den Phantasieschatz der amerikanischen Science Fiction der vierziger und fünfziger Jahre aus, um jede Woche wieder ein Heft mit neuen Abenteuern liefern zu können. Die Titelbilder haben mir auch sehr gefallen, aber eher wegen der hübschen Weltraumimpressionen und Mondlandschaften mit Raumschiffen in unterschiedlichsten Ausführungen, und weniger wegen der amerikanisch-brutalen Astronautengesichter und der echsen- und mausartigen Aliens. Obwohl: First-Contact-Situationen habe ich noch heute gern.
Das legendäre erste Heft spielte auf dem Mond. Auch etwas mit First Contact. Der Anblick des Titelbildes ruft bei mir noch immer für einen Moment diesen ersten Thrill wieder auf, den ich zirka 200 Wochen lang mit dem neuen Heft in der Hand empfunden habe. Jahrelang habe ich es aufbewahrt und dann doch irgendwann weggeworfen. Es wäre jetzt mehr wert als manche ehrwürdige Erstausgabe der hohen deutschen Literatur.



Auf Facebook kann man Perry Rhodan als Freund anklicken. Das habe ich heute getan.

Montag, 19. März 2012

Gut gegen Nordwind im Theater

Bei meinem Rothenbergebericht hätte ich ein Beispiel für die Bühnenversion von Glattauers Roman Gut gegen Nordwind bringen wollen. Das reiche ich nun nach.

Ich habe selber keine Aufführung gesehen. Auf Youtube gibt es ein paar Fragmente, die vor allem zeigen, dass es schwer ist, diesen Email-Roman für das Theater umzusetzen, und - wer weiß – vielleicht war die niederländische Version die bisher beste. Von den deutschen gefällt mir die Wiener Aufführung ganz gut:

Aber die Niederländer sind  - wie immer – etwas “lockerer”:

Bringt das was zur Unterscheidung von deutschem und niederländischem Humorstil? Darüber muss ich noch einmal nachdenken.

Sonntag, 18. März 2012

Nicolette Krebitz: Charmant und schön bei Krömer


Nicht jedem wird der Stil der Kurt-Krömer-Show etwas sagen, und genau genommen erfahren wir in dem folgenden Gespräch rein faktenmäßig nichts über Nicolette Krebitz, aber mir hat es dennoch einen Riesenspaß gemacht, und ich muss mir neu überlegen, ob ich wirklich in Berlin-Wilmersdorf eine Wohnung suchen soll:


Nicolette Krebitz: Als Sängerin bei Terranova

Hier vernetzen sich wieder die Berliner Kreativen: Schon in der ersten CD Close the Door (1999) von Terranova hat Nicolette Krebitz als “Coco” zu einigen Nummern gesungen, und auch in der neuen CD Hotel Amour, über die ich schon zu Anfang von Café Deutschland einen begeisterten Beitrag geschrieben habe, ist sie die Sängerin in der letzten Nummer Prayer:


Nicolette Krebitz: Die Regisseurin

Sie ist eine starke Frau und nicht zufrieden mit der Profession als Schauspielerin, in die sie schon als Kind hineingerutscht ist: sie will viel und Verschiedenes und Anderes und sie will selbst gestalten, bestimmen und zeigen. Ihr zweiter Film als Regisseurin, Das Herz ist ein dunkler Wald (2007), zu dem sie auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt das in besonderer Weise. Man sieht, dass sie ihre Maßstäbe in der Berliner Schule, zwischen Petzold und Hochhäusler, erarbeitet hat, aber ihnen etwas Eigenes, Surreales, Weibliches hinzufügt. Mit Nina Hoss bedient sie sich einer Schauspielerin, die in den Filmen Christian Petzolds ihre Welt gefunden hat und weiter findet (Yella, 2007 und Barbara, 2012), ist darin aber radikaler und geht damit über die realistischen Bilderwelten der Berliner Schule hinaus.

Auch hier kann ich nur den Trailer bieten und empfehlen, sich diesen Film einmal im Kino oder auf einer DVD anzuschauen:


Nicolette Krebitz: Die Schauspielerin


Ich kann hier leider nur mit dem offiziellen Trailer dienen, aber er gibt sowohl einen Eindruck vom Charakter des Films Unter dir die Stadt als auch von der schönen Nicolette Krebitz, die in ihrem beruflichen Leben überaus vielseitig ist.

Rothenberge 2012: Es gibt (k)ein Leben neben dem Leben

Die jährliche Veranstaltung im Landhaus Rothenberge steht unter keinem besonderen Thema oder Motto: es geht um interessante deutsche Romane und einen Film aus den letzten Jahren. Diesmal waren das: Wolfgang Herrndorf, Tschick  (2011), Daniel Glattauer, Guten gegen Nordwind (2006), , Annette Pehnt, Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern (2010) und Christoph Hochhäuslers Film Unter uns die Stadt (2011).
Bei aller Unterschiedlichkeit schälte sich doch etwas Gemeinsames heraus: die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, aus dem einmal gewählten oder zugefallenen Leben auszubrechen und heimlich eine zweite Option, ein Second Life zu versuchen. Herrndorf und Glattauer spielen das mit einem für die deutsche Literatur ungewöhnlichen Humor durch, der um so wirksamer ist, als in beiden Fällen ein eher tragischer Hintergrund vorhanden ist, der auch nicht in einem Happy End aufgelöst wird.
Herrndorf ist es gelungen, einen Roman zu schreiben, der gleichzeitig romantisch, sozial- und zivilisationskritisch und überaus vergnüglich ist, ein Roadmovie zweier Jugendlicher, die durch einen kurzfristigen Ausbruch aus ihrer verständnislosen Umgebung Zugang zum Leben und sich selbst erhalten.
Die virtuelle Email-Liebe in Glattauers Roman: ist sie ein Betrug am real existierenden Ehemann, ist sie eine Parallelidentität, die zusätzlich neben der realen funktionieren kann? Das Thema scheint die Leute zu interessieren: der Roman hat schon seit sechs Jahren einen Riesenerfolg mit inzwischen rund einer Million verkauften Exempalren. Seit 2010 gibt es ihn auch als Theaterstück.
Die Erzählungen Annette Pehnts dagegen sind mit einem gnadenlosen und tragischen Realismus erzählt und handeln zum Teil von der Härte des Lebens mit einer Behinderung, die allen Versuchen der Betroffenen und der sie Pflegenden, diese zu überspielen, nachhaltig trotzt.
Hochhäuslers Film spielt in der Frankfurter  Finanzwelt, die von einer menschlichen Kälte durchwirkt ist, die den in ihr agierenden Personen so zur zweiten Haut geworden ist, dass auch ihre Ausbruchsversuche davon bestimmt bleiben: harte, sadistische, unehrliche Worte und Handlungen, aus denen die Liebenden (?) sich nicht befreien können. Der Regisseur entwickelt eine eigene Bildsprache und Ästhetik,um diese Ausweglosigkeit deutlich zu machen. Ein großartiger Film mit einer großartigen Hauptdarstellerin: Nicolette Krebitz!

Aber die Kälte wirkte nach:

Das Wetter in Rothenberge verlockte mit schmeichlerischer Frühlingsluft, die mir am Nachmittag, als ich ohne Jacke hinausgegangen war, plötzlich eiskalt um den Hals fuhr und mit einer Erkältung nach Hause schickte.

Samstag, 17. März 2012


Wolfgang Herrndorf , der Autor von “Tschick”, hat mit seinem neuen Roman “Sand” den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen.

Donnerstag, 15. März 2012

Weblogs in den Geisteswissenschaften

Deutsche Geisteswissenschaftler tun sich ein wenig schwer mit dem Bloggen. Es ist ihnen nicht seriös genug, sie fühlen sich dort nicht unter ihresgleichen, sie können dort ihren Wissenschaftsjargon nicht loswerden und vor allem: es zählt nicht als Veröffentlichung!

In München hat es jetzt eine Tagung zu dem Thema gegeben: “Weblogs in den Geisteswissenschaften”. In der Süddeutschen Zeitung steht ein Bericht dazu.

Im Zusammenhang mit dieser Tagung ist ein geisteswissenschaftliches Blogportal eröffnet worden:

Mittwoch, 14. März 2012

Neorealismus im deutschen Brickfilm

Einmal noch ein Brickfilm: Wer “Herr Schmitzke und das Glück” aufmerksam betrachtet hat, dem wird das subtile Zitat vom Anfang des Italowesterns “Once Upon a Time in the West” aufgefallen sein: die nervig quietschende, einmal kurz stockende kleine Windmühle. Im Hintergrund der Förderturm. Dann kommt der Zug! Die ganze Szene ist schlichtweg genial!

Die Macher dieses Films haben sich seitdem in Richtung des italienischen Neorealismus weiterentwickelt. Es muss mit der Diskrepanz der Legosteinchenwelt zu den Welten Sergio Leones und Roberto Rosselinis zu tun haben. Jetzt jedenfalls haben sich die besten Regisseure des deutschen Brickfilms zusammengetan und einen gemeinsamen Episodenfilm produziert: "Das Rauschen der Luft".

Zu sehen unter http://vimeo.com/25293719


Montag, 12. März 2012

Herr Schmitzke und das Glück

Brickfilme zu Goethe und Grimm

Jeder kann heute ohne nennenswerte Kosten kleine Filme aufnehmen, bearbeiten und auf dem WorldWideWeb zugänglich machen. Zu den neuen Subgenres, die dadurch entstanden sind, gehören auch die sogenannten Brickfilme, das sind kurze Stop-Motion-Filme, die (fast) ausschließlich mit Legosteinen und –figuren gemacht werden.

Dieses Genre ist inzwischen aus den Kinderschuhen des nur Infantilen und Amateurhaften herausgewachsen. In Deutschland hat sich seit 2005 das bisher weltweit einzige Brickfilmfestival etabliert.

Die technische und ästhetische Qualitat der eingereichten Filme ist beachtlich. Auffällig ist in den ersten Jahren der hohe Anteil der Literaturverfilmungen. Das mag am akademischen Hintergrund des Initiators und seines Festivaldesigns liegen und/oder an der Tatsache, dass die ersten Teilnehmer sich auf die choreografisch-technische Herausforderung konzentriert und dabei lieber fertiger und bekannter Plots bedient haben. Der Publikumspreis des ersten Festivals 2005 ging jedenfalls an eine eindrucksvolle Verfilmung von Goethes Gedicht “Totentanz”:


Im darauffolgenden Jahr gewann sowohl bei der Jury als auch beim Publikum Mirko Horstmanns Film “Der Fischer und seine Frau”. Das Skript hält sich sehr dicht an den originalen Märchentext der Gebrüder Grimm und passt nur die Wünsche der Frau an die heutige Lebenswelt in Deutschland an:



Inzwischen neigen die Regisseure stärker zu eigenen Plots und Skripts. Das kommt der Qualität der Filme nicht immer zugute. Aber das Genre ist entwicklungsfähig!